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Nemesis
"Was wird in 25 Jahren als ‚abartig' gelten? Ich setze auf die Missionarsstellung."
Susan Crain Bakos
Ich habe überhaupt nichts gegen die Missionarsstellung. Allerdings sind die Zeiten zum
Glück vorbei, in denen Sex nur zur Fortpflanzung legitimiert sein sollte und unter der
Bettdecke sowie bei gelöschtem Licht stattzufinden hatte (und kehren - hoffentlich - auch
niemals wieder; wobei ich mir dessen angesichts der Fundamentalisten in West und Ost
leider nicht wirklich sicher bin).
Die aussagekräftigen Reports meines Providers belegen, dass viele Leserinnen und Leser
durch ganz gezieltes Suchen auf dellicate.com gestoßen sind. Für alle, die eher zufällig
hierher geraten, sei klargestellt:
Es geht um Sadomasochismus.
Naja. Irgendwie jedenfalls. Wenn Ihnen jetzt lediglich eine peitschenschwingende Domina
in den Sinn kommt, dann sei Ihnen anempfohlen, ein wenig bei meinen Geschichten zu
verweilen und sich fürderhin nicht mehr auf billig-reißerische Fernsehsendungen oder
verdummende Tageszeitungen zu beschränken. Sie werden zwar hier nicht finden, was
Sie erwarten, aber womöglich die ein oder andere erhellende Überraschung erleben. Um
Missverständnissen vorzubeugen: Ich habe nichts gegen Dominas. Im Gegenteil - das ist
ein höchst anspruchsvoller und gesellschaftlich wichtiger und nutzbringender Beruf.
Was ist das eigentlich - "SM"? Es gibt zwar jede Menge seltsamer Definitionen von SM,
aber mich hat bislang noch keine überzeugt.
"In Wirklichkeit aber gibt es keine … Sadisten und Masochisten. Es gibt nur Individuen, die
in bestimmten Kontexten bestimmte sexuelle Reaktionen und Verhaltensweisen zeigen
können, aber nicht müssen."
Prof. Dr. Dr. Erwin J. Haeberle
Es wird höchste Zeit, die Dinge so zu sehen, wie sie sind: Normal. Gibt es eigentlich noch
Haushalte, in denen nicht zumindest ein Satz plüschbezogener Handschellen in
irgendeiner Schublade liegt (und gelegentlich sogar benutzt wird)?
Natürlich passiert in meinen Geschichten weitaus mehr als ein paar Fesselspielchen.
Es geht um Fantasien.
"[Fantasien] sind der einzige Bereich, in dem dem Menschen grenzenlose Lust und
Leidenschaft möglich wird. Nur hier findet er eine Welt jenseits von Moral und Tugend;
eine Welt, die weder Schuld noch Schamgefühle kennt."
Sina-Aline Geißler
Natürlich geht es um Lust. Weil die viel größer ist, wenn sie mit Liebe einhergeht, enthält
jeder Nemesis-Roman auch (mindestens) eine romantische Liebesgeschichte.
Es geht um Hingabe.
Das kennen Sie doch: Sex ist am schönsten, wenn man den Kopf ausschalten kann.
Anerzogene Vorstellungen von Dingen, die "erlaubt" oder "verboten" sind, haben dabei
nichts zu suchen. Es zählt nur die Rücksichtnahme auf und die Verantwortung für das
Wohlergehen des Partners.
Tja. Leicht daher gesagt, nicht wahr?
Wir sind alle Opfer jahrtausendealter geistiger Unterdrückung.
Da der Sexualtrieb erwiesenermaßen zu den Hauptmotiven menschlichen Daseins gehört,
kann man Menschen nicht kontrollieren, wenn man ihnen die Sexualität in
Eigenverantwortung überlässt. Also: Weg damit! Wenn das nicht geht (was angesichts von
zahllosen Missbrauchsfällen in lustfeindlichen Institutionen inzwischen allzu offensichtlich
ist), dann muss man es zumindest eindämmen und kanalisieren.
Ich will an dieser Stelle nicht weiter ausführen, warum vor allem Frauen Opfer
machtpolitisch motivierter seelischer Verstümmelung geworden sind. Das werden Sie
selbst wissen.
Sie wissen vermutlich auch, wie schön es sein kann, in dem intimsten Moment alles um
sich herum zu vergessen und den Augenblick ganz und gar zu genießen. Darum geht es
hier auch.
Es geht um Gemüseeintopf.
"Die Frage ‚Was ist Masochismus' ist nicht zu beantworten. … Der Begriff kann ebenso die
Lust nach absoluter Unterwerfung bezeichnen wie das Bedürfnis, sich im klar
abgegrenzten Bereich der Sexualität devot zu verhalten; er kann die Lust am bloßen
körperlichen Schmerz meinen wie das Verlangen nach seelischer Demütigung."
Sina-Aline Geißler
All das werden Sie in den Nemesis-Romanen finden. Vermutlich gefallen Ihnen manche
Aspekte besser als andere. Das ist nicht zu vermeiden. Es ist eben wie beim
Gemüseeintopf. Lieber mehr Kartoffeln oder Möhrchen? Zu stark gesalzen? Zu wenig?
Nemesis ist so. Ich hoffe, dass es Ihnen schmeckt.
In allen Romanen kommen die verschiedensten "Gemüsesorten" vor.
Während WOLFSBRAUT eigentlich eine "Coming-Out"-Story mit einem kräftigen Schuss
Romantik ist, gibt es doch darin auch jede Menge Bondage, Peitschen, Erziehung und
sogar Body-Mods.
TOLLWUT hingegen kommt als Serienmörder-Thriller daher und beschreibt dennoch eine
zarte Liebesgeschichte voller Hingabe und Unterwerfung einschließlich Langzeit-
Bondage.
Auch in TOCHTER DER GEWALT geht es kriminell zu. In parallelen Handlungssträngen
gibt es wieder Geschehnisse, wie sie schon aus den anderen Bänden bekannt sind.
Diesmal wird jedoch das verbindende Element im Hintergrund genauer herausgearbeitet.
DAS ENDE DER FREIHEIT löst sich von den überwiegend (aber nicht immer)
"einvernehmlichen" Handlungen der anderen Bände und befasst sich mit SM in einer sehr
radikalen Variante. Es mag überraschen, dass auch hier Liebe und Romantik eine Rolle
spielen.
Mehr erfahren Sie aus den Exposés und Vorworten (oder Sie fangen einfach an, das
ganze Zeug zu lesen).
Wenn Sie dann irgendwann genug vom Eintopf haben und sich "speziellen Gerichten für
Genießer" zuwenden wollen … kein Problem! Dafür gibt es die FETISCH-
GESCHICHTEN. Für Ihre "Geschmacksrichtung" ist sicher etwas dabei.
Was Sie sonst nirgendwo finden, ist eine Information über diese geheimnisvolle
Organisation, "Nemesis". Die kommt jetzt:
Es geht um Freiheit.
Gedankenfreiheit … sowieso! Dazu habe ich schon ein paar Worte beim Thema
Jugendschutz verloren.
Es geht auch um die Freiheit zu selbstbestimmter Sexualität; auch und gerade dann,
wenn diese Freiheit die Entscheidung umfasst, fremdbestimmt lieben oder leben zu
wollen.
Vor allem aber geht es um die Freiheit der Fantasie.
"Eine Vorstellung erregend zu finden heißt noch lange nicht, das Vorgestellte in der
Wirklichkeit erleben zu wollen. Im Gegenteil: Die intensivsten erotischen Fantasien leben
davon, niemals in der Realität erprobt zu werden, vielleicht auch gar nicht erprobt werden
zu können. Unsere Fantasiewelt neigt zu Extremen. Auch in der Erotik. Wenn eine Frau
sich in ihrer Fantasie wünscht, von drei Männern vergewaltigt zu werden, bedeutet das in
Wirklichkeit vielleicht nicht mehr, als dass sie von ihrem eigenen Mann leidenschaftlicher,
hemmungsloser geliebt werden möchte. Und so mancher Mann, der sich in seiner
Traumwelt fünf Gespielinnen auf einmal wünscht, würde in der Realität vor dieser
lustvollen Anstrengung davonlaufen.
Wir sehen: Unsere Fantasien sind nicht als Parameter für unsere realen Wünsche zu
verstehen. Und das ist gut so. Denn nur so kann die Welt unserer Fantasie ein Bereich
bleiben, der frei ist von jeder Zensur und vor allem auch Selbstzensur, eine Welt, in der
eben wirklich alles möglich, jeder Wunsch erfüllbar ist."
Sina-Aline Geißler
Die größte Bedrohung der Freiheit ist der Kollektivismus.
Der politische Kollektivismus ist nur eine Variante und es ist sch...egal, ob er "rechts" oder
"links" ist. Erfahrungsgemäß sind Linke stets tief verletzt, wenn sie mit braunem
Geschmeiß in einen Topf geworfen werden. Der Grund hierfür ist auch gleichzeitig der
einzige echte Unterschied: Sozialisten meinen es - zumindest anfangs - tatsächlich "gut"
mit dem Mist, den sie anrichten. Die Ergebnisse unterscheiden sich dann, wie die
Geschichte hinlänglich beweist, eher marginal.
Daneben gibt es noch den religiösen Kollektivismus (auch dabei besteht zwischen
Hexenverbrennung, Kreuzzügen und Selbstmordattentaten bestenfalls ein Unterschied in
der verwendeten Symbolik) und den gesellschaftlichen Kollektivismus.
Letzterer ist Sujet von "Nemesis".
Zunächst: Es ist gut und richtig und zumeist schlicht alternativlos, wenn sich Menschen
zusammentun, um Kräfte zu bündeln und gemeinsame Ziele zu erreichen. Ohne
"Organisation" gäbe es keinen Fortschritt und ohne "Gruppierung" hätte es keinen
schwulen Bürgermeister von Berlin, keinen schwulen Außenminister und keine Kanzlerin
gegeben. Ob man die Personen jeweils gut findet, kann dahingestellt bleiben, doch dabei
zeigt sich schon der Ansatz des Problems: Wowi und Guido sind eben nicht "nur" schwul
und Angie ist nicht "nur" Frau.
"Was der psychiatrisch geschmähte Leopold von Sacher-Masoch empfand, erlebt aber im
Grunde heute noch jeder, der mit ‚wissenschaftlichen' Etiketten versehen und so in seiner
Persönlichkeit reduziert wird. Auch Begriffe wie ‚Transvestit', ‚Fetischist' … können einem
Individuum nicht gerecht werden, da sie immer nur Teilaspekte seiner Persönlichkeit
verabsolutieren."
Prof. Dr. Dr. Erwin J. Haeberle
Umso rückständiger, spießiger und bigotter jedoch das gesellschaftliche Umfeld ist, umso
größer ist die Gefahr, aufgrund einer individuellen "Abweichung" von dem, was als
gesellschaftlich "normal" gilt, ein solches Etikett zu erhalten und ausgegrenzt zu werden.
Das gilt für Hexen, Ungläubige, Transsexuelle, Masochisten ebenso wie für Menschen, die
ihr Auto nicht an einem Samstag waschen oder keine Energiesparlampen besitzen. Der
vermeintliche "Grad" der Abweichung bestimmt die Größe des Etiketts und damit die
Dimension der Ausgrenzung.
"Dass viele Frauen und Männer sich dennoch solchen Pauschalierungen anbequemen
und sie freiwillig auf sich selbst beziehen, ist meist nur eine Überlebensstrategie. Auf diese
Weise entkommen sie zunächst einer als bedrückend empfundenen Vereinzelung. Zudem
wird ihnen oft, in sich bildenden oder gar schon voll ausgebildeten sexuellen Szenen, ein
besonderes Gruppenerlebnis zuteil, vielleicht sogar die Aufnahme in eine
Solidargemeinschaft. So bildet sich dann eine besondere Minderheiten-Identität heraus."
Prof. Dr. Dr. Erwin J. Haeberle
"Nemesis" ist eine solche "Solidargemeinschaft".
Der Reiz, "dazu zu gehören", wird umso größer, umso schwieriger eine Aufnahme
erscheint. Die Gemeinschaft wird exklusiver, das Gruppenerleben erscheint intensiver und
die Gruppenidentität wird ausgeprägter. Zulassungsbeschränkungen oder gar
Geheimbündelei sind bewährte Methoden. Allerdings steigt damit die Gefahr, dass die
Individualität der Gruppenmitglieder leidet.
Waren Sie schon einmal Mitglied in einem Verein oder gar einer Partei oder
Religionsgemeinschaft? Kennen Sie den Konflikt zwischen Ihrer "persönlichen Meinung"
und Entwicklungen innerhalb der Gemeinschaft, die damit nicht übereinzustimmen
scheinen?
In WOLFSBRAUT stehen die positiven Aspekte einer solchen Solidargemeinschaft im
Vordergrund.
In TOLLWUT wird erzählt, was passieren kann, wenn ein Angehöriger der Gemeinschaft
diese für seine (abweichenden) eigenen Ziele missbraucht.
In TOCHTER DER GEWALT erleben wir, wie die Gemeinschaft bis in ihre höchsten
Gremien korrumpiert wird.
In DAS ENDE DER FREIHEIT schließlich geht es nur noch um Vehikel für den
Machtmissbrauch und Instrumente zur Unterdrückung, welche die einst so "gute" Sache
hervorgebracht hat.
Kommt Ihnen das bekannt vor?
Ja? Dann wissen Sie Bescheid und sind gewarnt. Sie werden Ihren individuellen Verstand
nicht ausschalten, nur weil irgendein Kollektiv es Ihnen befiehlt.
Nein? Sie wissen nicht, was das Ganze soll?
Dann, bitte, lesen Sie am besten alle vier Bände. Die Reihenfolge ist nicht so wichtig.
Jedes Buch erzählt eine eigene Geschichte.
Vielleicht gelingt es mir, Sie davon abzuhalten, irgendwelchen Fähnchen, deren Aufdruck
Ihnen gefällt, bis in den Abgrund zu folgen oder Dinge zu tun, die Ihnen Unbehagen
bereiten, aber von der "Gruppe" verlangt werden.
Vielleicht werden Ihnen Gurus und Ideologien ebenso suspekt wie mir.
Vielleicht finden Sie auch höchsten Gefallen an der Fremdartigkeit, dem Anderssein, der
Vielfalt und der Individualität Ihrer Mitmenschen.
Dann hätte sich jede Stunde, die ich an der Tastatur verbracht habe, mehr als gelohnt.
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Zitate aus:
Sina-Aline Geißler: Lust an der Unterwerfung, München 1990
Sina-Aline Geißler: Die Wünsche der Frauen, Rastatt ?
Wetzstein, Steinmetz, Reis, Eckert: Sadomasochismus, Hamburg 1993
Susan Crain Bakos: Kink, New York 1995
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